Ostseeman 2017

Der Ostseemann ist schon so ein kleiner Schlingel! Er versteckt sich erst einmal scheinheilig hinter seinem ausgezeichneten Ruf, seiner familiären-freundlichen Atmosphäre und seiner Top-Organisation. Und wenn man dann gestartet ist, kommt er mit einem super toughen Streckenprofil für alle drei Disziplinen, dem stetem starken Wind und Regenschauern um die Ecke!

Obwohl das Teilnehmerfeld von ca. 400 Startern inklusive Staffeln nicht mit den großen Langstrecken wie Roth oder Frankfurt mithalten kann, spielt der Ostseeman absolut in der gleichen Liga was die Organisation angeht. Es fehlt an nichts! An gar nichts!! Und das Ambiente übertrifft sie beide!

Die weite Anreise lohnt sich! Bei Registrierung und Race Briefing fühlt man sich gleich wie zu Hause – alle sind super hilfsbereit und freundlich. Probleme wie mein nicht registrierter Chip werden lösungsorientiert auf dem kleinen Dienstweg hingebogen, die schlimme Wade wird noch schnell von Schwester Erika professionell getapt. Sogar Parkplätze direkt am Ort des Geschehens sind ausreichend vorhanden. Ist fast schon magisch!

Beim Rad Check-in werden die Bremsen und Helm auch wirklich auf Funktionstüchtigkeit geprüft – die Kampfrichter wissen warum, ich am nächsten Tag auch. Keine Geheimnistuerei bei der Lauf- und Radbeutel Abgabe, jeder hängt einfach seine Sachen an seinen Platz ins Rack. Alles bereitet sich gelassen auf den großen Tag vor, keine Hektik, keine logistischen Probleme dank einer einzigen überschaubaren und durchdachten Wechselzone. Gestresste Triathleten habe ich nirgends gesehen – wie ungewohnt!

Am Sonntag Morgen ist dann spürbar irgendetwas anders im kleinen Städtchen Glücksburg. Anstatt den paar Frühaufstehern tummeln sich auf dem Sandstrand zwischen den Standkörben ein Haufen Irrer in Neoprenanzügen. Die Eingeweihten schienen aber zu wissen, das irgendwie doch alles „normal“ läuft – einfach die 16. Auflage des Ostseemann. Schnell noch ein Klaps auf den Hintern, „good luck“ von und für die Mitstreiter um mich herum und ab gehts pünktlich um 7 Uhr in die Fluten der Flensburger Förde auf einen 1.9km Kurs der 2x zu schwimmen war. Das Wasser ist etwas kreuselig, es geht schon etwas Wind. Die Wellen sind OK, nicht zu hoch. Selbst die Wassertemperatur ist nicht unangenehm. Wirklich schnell bin ich gefühlt nicht unterwegs, aber OK – ist halt echtes open water. Meeresbewohner sind zu sehen, hier und da ein Seestern oder ein Krebs. Ich mag sie ja eigentlich gerne. Aber durch einen Quallen-Teppich zu schwimmen ist dann doch irgendwie ziemlich ek…. äh ungewohnt. Zwei mal, mindestens 100m… uhaa – bäh!

Kurze Dusche nach dem Ausstieg, Neo aus und rauf aufs Bike. Der Aufstieg mit Verlust eines Schuhs und Verdrehen des Sattels war bei mir ziemlich peinlich aber als ich dann erst mal auf dem Bock saß, lief’s bei meiner Paradedisziplin. Wer in den Norden kam und geglaubt hat, alles sei schön topfeben so dass man mal richtig abdrücken kann, wurde von der extrem technischen, kurvenreichen und hügeligen Radstrecke schwer enttäuscht. Es gab KEINE Flachstücke, KEINE Drückerpassagen und KEINE ewig langen Geraden wo man nur den Kopf runter nehmen muss. Dafür eine 90 Grad Kurve nach der anderen – Bremsen, Schalten, Antreten, Bremsen, Schalten, Antreten – so ging das den ganzen Tag. Und wenn es nicht um die Kurve ging, dann einen Hügel rauf. Manchmal sogar ohne Gegenwind! Und zwischendurch gab’s Wasser von oben. Insgesamt waren die 6 Runden a 30km aber recht kurzweilig, auch weil die Zuschauer auf den Dörfern genau so irre abgegangen sind wie die Akteure selbst. Die 1200 Höhenmeter sind so gut in endlos vielen kleinen Entsaftern versteckt, dass man sie erstmal gar nicht merkt – erstmal…

Froh, den pannenanfälligen und leider auch unfallträchtigen Kurs hinter mich gebracht zu haben, ging ich mit überraschend guten Beinen auf die Laufstrecke. Schön gelegen, ein paar Kilometer am Ufer entlang mit Rückenwind lud sie förmlich ein zum überpacen. Das Angebot habe ich gerne wahrgenommen! Der zweite Teil jeder der 5 Laufrunden hat mit dann bald den Zahn gezogen. Der war gespickt mit vielen kleinen aber wirklich fiesen Rampen. Mit jeder Runde wurde mein Tempo langsamer – irgendwann bei Halbzeit war’s Zeitziel egal, einfach nur noch ankommen. Übermut tut selten gut – passt hier genau. Die letzten beiden Runden haben mich nur noch die feierwütigen Tennisdamen und die Krawall machende Oma auf dem Balkon bei Laune gehalten. Oder nee – eigentlich war die ganze Stadt auf den Beinen und hat sich selbst und den Ostseeman mit den Athleten gefeiert. Keiner war sich zu Schade zu Klatschen oder zu Jubeln. Aufgeben zwecklos – die Glücksburger mit ihrer guten Laune hätten einen sowieso nicht aussteigen lassen. Krämpfe, Entkräftung, Erschöpfung – alles egal, sie hätten dich schon ins Ziel getragen.

Als ich nach knapp 10 Stunden und 10 Minuten das Ziel auf Platz 19 Gesamt und Platz 4 in der Altersklasse endlich erreicht hatte, war ich nicht nur total geflasht von den Erlebnissen des Tages. Es wurde mir auch klar – der Ostseeman ist keine 08/15 Langdistanz und nicht mit anderen vergleichbar – der ist Unerwartet hat seinen völlig eigenen Charakter. Der Ostseemann ist einfach ein Schlingel!

Und ja! Es gab Flensburger Freibier im athletes-garden, und ich hab nicht nur eins getrunken.

Text/Bilder: Manuel Kollorz